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ANDRE NERZ: Hommage an Victor Bruns (1904-1996), in Kultur-News März 2016:

Der Kulturring in Berlin e.V., die WBG „Treptow Nord" e.G., Bläsersolisten des Rundfunksinfonieorchesters Berlin, das Berstockquartett (Musiker der Staatskapelle Berlin, des Rundfunksinfonieorchesters Berlin und der Königlichen Oper Stockholm) gedenken mit einem Kammermusik-Konzert des international bekannten Komponisten Victor Bruns, der 50 Jahre am Rodelbergweg in Baumschulenweg lebte. Bruns, dessen Todestag sich am 6. Dezember zum 20. Male jährte, hinterließ ein umfangreiches kompositorisches Werk. Musik für mehr als 20 Konzerte, eine noch größere Zahl Kammermusik-Stücke für Bläser und Streicher, Orchesterwerke wie die Sinfonien Nr. 1 (1943) bis Nr. 6 (1980) und Ballettmusik, u.a. die Neue Odyssee (Gastspiele der Berliner Staatsoper in München und Prag) gehören dazu.

Geboren wurde Bruns am 15. August 1904 im damals zum Russischen Reich gehörenden finnischen Ort Ollila. Seine Vorfahren waren nach Russland eingewanderte Deutsche. Die in Sankt Petersburg wohnende Familie liebte es, zu Hause zu musizieren: der Vater sang, die Mutter spielte Klavier, die Brüder Geige, Cello und Klavier. Eine erste musikalische Ausbildung am Klavier erfuhr Victor an einer deutschen Schule. Sein ältester Bruder studierte an der Technischen Hochschule und spielte dort Geige im Studentenorchester. Man suchte noch dringend einen Fagottisten, und der ältere Bruder wandte sich diesbezüglich an den jüngeren - so nahm Victor Privatunterricht beim ersten Fagottisten der Leningrader Staatsoper und wurde bald als Fagott-Spieler ins Orchester aufgenommen.

Nach der Schulzeit nahm er zunächst ein naturwissenschaftliches Studium auf, doch nach kurzer Zeit siegte seine Begeisterung für die Musik, und er wechselte 1924 zum Rimski-Korsakow-Konservatorium. Alexander Wassilliew, Solo-Fagottist der Leningrader Philharmonie, unterrichtete ihn dort bis 1927 - so erfolgreich, dass sich Bruns im selben Jahr die zweite Stelle am Staatlichen Leningrader Theater für Oper und Ballett erspielen konnte. Als Sergej Prokofjew Mitte der 1920er Jahre zu einem Konzert das Leningrader Konservatorium besuchte, wurde er mit seinem Fagott-Quartett op.12 Nr. 9 empfangen - gespielt von Victor Bruns und drei Mitstudenten. Die Begegnung mit dem vom Publikum enthusiastisch gefeierten Prokofjew beeindruckte Victor sehr, der berühmte Komponist wurde für ihn ein großes Vorbild. Bruns' Interesse am Komponieren wuchs, und so nahm er ab 1927 ein Kompositionsstudium auf, das er 1931 mit dem 1. Fagottkonzert, op.5 abschloss. Die Leningrader Philharmoniker brachten das Stück 1933 zu seiner Urauffuhrung - Bruns wirkte als Solist mit. In den folgenden Jahren schuf Bruns verschiedene Werke, wobei ihn seine Frau Helli(sie hatten 1929 geheiratet) tatkräftig unterstützte.

Die Weichen schienen gestellt für eine erfolgreiche Künstlerkarriere, doch die fürchterliche Willkür unter Stalins Herrschaft, die in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre ihren Höhepunkt erreichte, verschonte auch Familie Bruns nicht. Verbannung, Lagerhaft und Tod trafen enge Verwandte. Zu den üblichen, konstruierten Vorwürfen (konterrevolutionäre Tätigkeit, trotzkistische Verschwörung, Sabotage etc.), mit denen tausende Familien ins Unglück gestürzt wurden, kam bei den in der Sowjetunion lebenden Deutschen noch der pauschale Spionageverdacht hinzu. Victor Bruns und seine beiden Brüder, die monatelang inhaftiert gewesen waren, kamen mit der Ausweisung aus der Sowjetunion 1937 / 38 noch vergleichsweise glimpflich davon.

Auch nach der Ankunft in Deutschland komponierte Bruns weiter und fand eine Anstellung als zweiter Fagottist an der Volksoper Berlin, die 1944 nach Schlesien verlegt wurde. Noch in der Endphase des Krieges einberufen, kam Bruns nach kurzer Gefangenschaft Ende 1946 zurück nach Berlin.

Die Zeit vom Kriegsende bis in die 1990er Jahre war für Victor Bruns die fruchtbarste Schaffensperiode, in der die meisten seiner Kompositionen entstanden. Er war zudem über 20 Jahre Fagottist der Staatskapelle Berlin, wurde deren Ehrenmitglied, erhielt den Kunstpreis der DDR und wurde von der International Double Reed Society (interessenverband der Musiker/lnstrumentenbauer von Oboe und Fagott) zum Honorary Member ernannt. Die musikalische Hommage für Victor Bruns findet am 8. März, 19.00 Uhr, im Mitgliedertreff der WBG Treptow-Nord statt. lm Anschluss ist das Publikum eingeladen, mit den Musikern und dem Neffen Victor Bruns' zu sprechen.

Helge Bartholomäus schreibt (rohrblatt, Schorndorf, 12 (1997), Heft 1): „Er war ein selten gütiger, bescheidener und froher Mensch. Zum Tode von Victor Bruns“

Im Alter von 92 Jahren starb am 6. Dezember 1996 in Berlin der von uns allen hochgeschätzte Komponist, Fagottist, Kammervirtuose und Ehrenmitglied der Deutschen Staatsoper Berlin, Victor BRUNS.

Vielen wird er in Erinnerung sein durch seinen 88. Geburtstag während des Internationalen Kongresses der IRDS 1992 in Frankfurt am Main oder durch die Uraufführung seiner Concertanten Suite op. 95 für Fagott und Klavier während der IRDS- Jahrestagung im März 1996 in Berlin. Es war eine Eigenart von Victor BRUNS, wenn möglich, bei Konzerten mit seinen Werken und speziell bei Uraufführungen, dabeizusein.

Ich erinnere mich, dass er schon vor dem Mauerfall im Juni 1989 mit seinem pensionierten Kollegen Willi ERKENS in Berlin-Zehlendorf zu einem Fagottquartett-Konzert erschien, bei dem das Berliner Fagottquartett BRUNS’ Zweite Suite op.68 spielte. Überhaupt war BRUNS ein sehr geselliger Mensch, der gerne viele Freunde um sich versammelte und Musiker zusammenbrachte. Sein Haus stand jederzeit offen für alle und wurde ein Treffpunkt der Fagottwelt. In der Weihnachtszeit pflegte er seine Kontakte besonders, und der umfangreiche Schriftverkehr ließ dann seine Arbeit – das Komponieren – vorübergehend ruhen. Aber nicht nur mit Musikern pflegte er Kontakt, ebenso freundschaftlich verbunden war er seinen Verlegern und Lektoren wie auch Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in den Rundfunkanstalten. Diesen brachte er des öfteren, insbesondere zur Weihnachtszeit, von seinen Westbesuchen kleine Geschenke – Schokolade, Süßigkeiten und Kaffee – mit.

Seine überaus herzliche und gastfreundliche Art bringt eine kleine Komposition des Fagottisten und Komponisten Georg DREYFUS zum Ausdruck, der BRUNS durch einige Besuche in Berlin kannte. Das Werk, dem DREYFUS den Titel Hommage a` Victor Bruns, „...aber bitte, nehmen Sie doch noch ein Stück Kuchen, mein lieber Herr Dreyfus“ gab, wird demnächst in einem Sammelheft mit kleinen Stücken für Fagottquartett (von BRUNS, DE HAAN, NÄTHER, STÖCKIGT und DREYFUS) erscheinen.

Ein wichtiger Platz für Victor BRUNS war sein so geliebtes Operncafe´, „Unter den Linden“, das neben seinem alten Arbeitsplatz, der Staatsoper Berlin, gelegen war. Dort fand jedes Jahr zu seinem Geburtstag am 15. August der Geburtstagskaffee im Kreise seiner Freunde und Verwandten statt. Nach seinen Uraufführungen und auch, wenn auswärtige Besucher kamen, traf man sich dort. Aus dieser Tradition heraus versammelten sich Familie, Freunde, Fagottisten und Kollegen nach der Trauerfeier am 19. Dezember 1996 wohl zum letzten Mal an diesem Ort.

Stolz war Victor BRUNS auf seine Ernennung zum Honorary member der International Double Reed Society, aber glücklich war er, dass er an seinem 88. Geburtstag (1992) im Kreise „seiner“ Fagottisten in Frankfurt die erste Ehrenmitgliedschaft der IDRS Deutschland erhielt. Alle, die dabei waren, konnten sich sicherlich an sein strahlendes, glückliches Gesicht erinnern. Die Lücke, die er hinterlässt, ist groß, doch wird sein kompositorisches Schaffen uns seiner auch in Zukunft erinnern. Seine Werke hat er fast immer für Freunde auf deren Anregung hin geschrieben. Das zweite, das Konzert für Kontrafagott und Orchester op. 98, ist seine letzte vollendete Komposition. Sie wurde von Henry SKOLNICK mit dem Florida- Philharmonic- Orchestra im Mai 1996 uraufgeführt.

Die Trauerfeier am 19. Dezember 1996 wurde musikalisch begleitet von vier Fagottisten der Berliner Staatsoper. Es erklang MOZARTS Choral Ave verum und von Anton BRUCKNER Tantum ergo. Victor BRUNS Großneffe Peter BRUNS trug einen Satz aus den Cello-Suiten von Johann Sebastian BACH vor. Worte aus der Traueranzeige, die Prof. Waldemar BRUNS, ein sich liebevoll kümmernder Neffe, lassen uns noch einmal an Victor BRUNS erinnern: „Sein Leben war erfüllt mit Musik und Komponieren. Er war ein selten gütiger, bescheidener und froher Mensch, und es war vorbildlich, wie er sein Leben gestaltete. Wir werden ihn lange in dankbarer Erinnerung behalten“.

Der 1. Vorsitzende der IRDS Deutschland, Stephan Weidauer schreibt im Dezember 1996:

„Victor Bruns ist den älteren Fagottkollegen noch in Erinnerung als Fagottist der Staatsoper Berlin, meiner Generation vor allem als ein Komponist, der die Literatur für unser Instrument in ganz unglaublichen Ausmaß bereichert hat. Sein Name ist bleibend und nicht mehr wegzudenken im Kreise der Komponisten unseres Jahrhunderts.“